Hochhausleitbild (2020)
Berlin verfügt seit 2020 über ein offizielles Hochhausleitbild, das als stadtplanerisches Rahmenkonzept den Umgang mit Hochhausprojekten regelt. Dieses Leitbild, beschlossen vom Senat am 25. Februar 2020, setzt übergeordnete Vorgaben und Qualitätsstandards für Hochhäuser, damit neue Türme städtebaulich verträglich, architektonisch hochwertig und zukunftsfähig entwickelt werden. Das Hochhausleitbild ist für alle neuen Hochhausvorhaben anzuwenden, die in seinen Geltungsbereich fallen, meist Gebäude, die ihre Nachbarschaft um >50 % überragen. Es dient in Bebauungsplanverfahren als Abwägungsdirektive und formuliert zehn Planungsgrundsätze, an denen sich Genehmigungen orientieren. Zentral ist dabei, dass Hochhäuser einen Mehrwert für die Allgemeinheit bieten und sich ins Stadtbild integrieren sollen. So sollen bei Hochhausplanungen immer die soziale Nutzung vor Ort, die Infrastruktur, das Stadtklima und die Beteiligung der Nachbarschaft berücksichtigt werden.
Räumlich fokussiert sich Berlin auf fünf Hochhaus-Cluster, in denen Hochhäuser konzentriert werden sollen, am Breitscheidplatz (City West), Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Europaplatz (Hauptbahnhof) und an der „Lichtenberger Arena“ (östlich der Innenstadt). Außerhalb dieser definierten Cluster sollen Türme nur im Ausnahmefall entstehen. Durch diese räumliche Bündelung und klare Qualitätsvorgaben erhofft sich die Stadt eine flächensparende Innenverdichtung und die Schaffung neuen Wohnraums an gut erschlossenen Knotenpunkten. Theoretisch könnten so Hochhäuser helfen, dem Bevölkerungswachstum zu begegnen, ohne dass Berlin weiter ins Umland expandiert. Tatsächlich lassen sich aber mit herkömmlicher Blockrandbebauung ähnlich viele Einwohner pro Hektar unterbringen wie mit Hochhäusern. In geschlossener Blockbauweise mit Hinterhöfen kommen rund 322 Personen/ha unter, während zehn- bis elfstöckige Hochhäuser etwa 319 und sehr hohe Türme, >11 Geschosse, sogar nur 315 Personen/ha erreichen. Diese Zahlen relativieren den vermeintlichen Vorteil bloßer Höhe und zeigen, dass Dichte allein kein Garant für Wohnraumversorgung ist.
Erste Erfahrungen mit dem Hochhausleitbild zeigen, dass es als Steuerungsinstrument zwar grundsätzlich geschätzt wird, bislang aber kaum große Hochhausprojekte tatsächlich nach diesen Vorgaben realisiert wurden. Anfang 2023 befanden sich laut Senatsverwaltung etwa 50 Hochhaus-Projekte in Planung, davon 5 über 100 m Höhe, doch fertiggestellt wurde noch keines unter Anwendung des Leitbilds. Der neue Berliner Senat, seit 2023 eine CDU/SPD-Koalition, hat daher angekündigt, das Hochhausleitbild einer Evaluation zu unterziehen und weiterzuentwickeln, perspektivisch soll ein umfassender Hochhausentwicklungsplan erarbeitet werden. Gleichzeitig fordert insbesondere die CDU eine markantere Skyline für Berlin und will die geltenden Bauregeln flexibler gestalten, Vorbilder wie New York oder Frankfurt werden angeführt. Kritiker wie der Berliner Mieterverein wenden jedoch ein, dass Hochhäuser aufgrund hoher Baukosten kaum bezahlbaren Wohnraum bringen können. Oft entfallen über die Hälfte der Flächen auf Büros oder Gewerbe, während weniger als ein Drittel als Wohnungen geplant sind. Dies liegt an den wirtschaftlichen Realitäten. Je höher ein Gebäude, desto teurer der Bau; zur Refinanzierung werden daher häufig luxusorientierte Nutzungen gewählt, was soziale Wohnkonzepte erschwert. Das Hochhausleitbild versucht diesem Missstand zu begegnen, indem es Mischnutzungen vorgibt, beispielsweise mindestens 30 % Gemeinwohlflächen, Wohnungen, Kultur etc. in vorwiegend gewerblichen Türmen und den öffentlichen Mehrwert betont. Allerdings wird auch diese Vorgabe kontrovers diskutiert, da hochpreisiger Wohnraum in Hochhäusern selbst bei Quoten nicht automatisch zu sozialverträglichen Mieten führt. Insgesamt klafft noch eine Lücke zwischen dem Soll, dichter nach oben bauen, um allen zu nützen und dem Ist, hohe Türme oft als Prestigeobjekte mit geringem Allmutsnutzen. Das neue Leitbild will diesen Widerspruch auflösen, indem es bei jeder Höherentwicklung auch gemeinwohlorientierte Flächennutzung und frühe Beteiligung der Bürger fordert. In der Praxis wird es darauf ankommen, diese Prinzipien konsequent einzufordern und gegebenenfalls durch neue Instrumente, etwa städtebauliche Verträge oder Abgaben auf Bodenwertsteigerungen, zu ergänzen.
Zusammenfassend stellt das Hochhausleitbild 2020 einen wichtigen Schritt dar, um Hochhäuser in Berlin nachhaltiger und städtebaulich verträglicher zu gestalten. Es liefert einen Rahmen von Zielen, z.B. Nachhaltigkeit, Gemeinwohlorientierung, Partizipation und Verfahren, um Hochhausprojekte zu steuern. Zugleich zeigt sich aber, dass die Umsetzung dieser Ansprüche eine Herausforderung bleibt.
Literaturverzeichnis
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (2020): Hochhausleitbild für Berlin – Impulse für die wachsende Stadt. URL: https://www.berlin.de/sen/stadtentwicklung/planung/hochhausleitbild/ , Aufruf am 30.09.2025.
Senat Berlin (2023): Koalitionsvertrag 2023–2026: Das Beste für Berlin. URL: https://www.berlin.de/rbmskzl/assets/dokumentation/koalitionsvertrag_2023-2026.pdf , Aufruf am 30.09.2025.
Berliner Mieterverein e. V. (2024): Berlin will hoch hinaus – Hochhausleitbild vor dem Fall?. URL: https://www.berliner-mieterverein.de/aktuelles/newsletter/berlin-hoch-hinaus-hochhausleitbild-vor-dem-fall.htm , Aufruf am 30.09.2025.